Unsocial Media
Warum ich die sozialen Medien ziemlich unsozial finde

Eigentlich tue ich mich schon lange schwer mit Social Media. So richtig gut gefallen hat es mir glaube ich noch nie und Freude am Content-Erstellen habe ich auch nicht so sehr wie manch andere. Was mich aber am meisten an dem Ganzen stört, ist, wie die sozialen Medien insgesamt funktionieren: Da werden Menschen als Kapital betrachtet und ihre Meinungen, Abneigungen und Vorlieben finanziell ausgeschlachtet.
Ich merke das immer dann, wenn Accounts, denen ich folge, plötzlich mal wieder Werbung für ein Produkt machen. Das stößt mir bitter auf. Irgendwie mag ich das gar nicht. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil ich mich als Person dann benutzt fühle.
Ja, ich weiß schon, die verdienen eben Geld damit und sie zahlen ja auch einen hohen Preis dafür, dass sie Geld bekommen für das Bewerben dieser Produkte, sie teilen nämlich ganz schön viel von ihrem Leben. Irgendwie finde ich das schon okay, dass das dann entlohnt wird, aber irgendwie auch nicht.
Denn der Preis für dieses Geschäft bin letztlich ich selbst. Ich als Followerin bezahle dafür mit meiner Followerschaft. Wir als Follower insgesamt ermöglichen dieses Geschäft überhaupt erst, wir sind das Kapital in Form von Reichweite. Und das fühlt sich für mich eklig an. Ich bin doch ein Mensch. Mit mir macht man gefälligst keine Geschäfte. Das ganze System dann auch noch „Social Media“ zu nennen, ist lediglich der Gipfel der Unverschämtheit. Das ist höchstens asozial, nicht sozial.
Und irgendwie verletzt es mich sogar … gerade, wenn es um Accounts geht, die sehr persönlich unterwegs sind … und ich verrate euch an dieser Stelle, dass ich deshalb sogar manchmal schon meine Followerschaft beendet habe, weil ich nicht bereit dazu bin, mit meiner Person zur Reichweite des Accounts beizutragen. Das ist schließlich die einzige Reaktion, die ich habe. Und dann konsumiere ich die Inhalte dieser öffentlichen Accounts, denen ich entfolgt bin, trotzdem noch, nur eben ohne Followerin zu sein. Und genau dieses Verhalten finde ich dann meinerseits wieder ziemlich asozial. Immerhin möchte ich das, was mir da inhaltlich angeboten wird, gerne ansehen, aber den Preis dafür zu zahlen bin ich nicht bereit. Das ist schon fast mit Diebstahl vergleichbar. Oder? Ja, ich merke in den letzten Monaten in mir sogar eine zunehmende bewusste (!) Verweigerung, Likes, Kommentare und ähnliches zu vergeben, weil mich die Ausbeutung meiner Person zu Werbezwecken so kränkt, dass ich den Aufwand absichtlich nicht wertschätzen will. Ich habe mir das richtig angewöhnt und like, wenn überhaupt, nur noch Dinge, die ich ganz zweckfrei schön und wertvoll finde. Idealistische Inhalte eben, keine mit finanziellen Hintergedanken.
Irgendwie also auch eklig und asozial von mir … aber es kommt auch nicht von ungefähr: Immerhin sind diese ach so sozialen Influencer ja auch gar nicht wirklich erreichbar. Mit den wenigsten von ihnen wird man jemals persönlich in Kontakt treten können, Nachrichten können an viele gar nicht geschickt werden oder bleiben unbeantwortet, was ja bei der Vielzahl an Followern verständlich ist, aber trotzdem doof. Denn genau unser persönlichstes Inneres und unser geistiges Eigentum (in Form von Umfragen, Likes, Teilen, Buttons klicken, „Sagt mal, wie ihr das seht“, „Nennt eure Ideen“ etc.) ist ja das, was diese Accounts groß und privilegiert macht. Und dann fahren sie auf tolle Pressereisen, die ich mit meiner Meinung bezahlt habe, und mir ansehen darf, wie luxuriös das Hotel ist, wie gesund das Essen von Hello Fresh ist und wie atemberaubend der Sonnenuntergang vom kostenlosen Rundflug über die Ostsee ist, während ich persönliche Anmerkungen (oder auch so etwas wie Kritik) nicht zum Ausdruck bringen kann, weil sie gar nicht gelesen werden. Das ist sowas von kein ehrlicher, menschlicher, sozialer Austausch auf Augenhöhe! Und das ärgert mich. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur neidisch. Oder geizig?
Aber vielleicht liegt mein Problem auch nicht in den sozialen Medien als solche, sondern in ihrer kapitalistischen Verfasstheit. Und dann wäre es konsequent zu Ende gedacht genauso schlimm oder eben in Ordnung, im analogen Leben auch als Kapital und nicht primär als Mensch betrachtet zu werden. Dann dürfte ich mich also nicht darüber ärgern, in den sozialen Medien ausgenutzt zu werden, sondern müsste mich wenn dann im echten, analogen Leben auch darüber aufregen. Oder ich rege mich gar nicht mehr darüber auf, sondern akzeptiere, dass die Dinge in einer kapitalistischen Welt so laufen, dass für mehr Idealismus kein Platz ist und dass das deshalb okay ist, weil andere Staats- und Gesellschaftsformen offensichtlich nicht richtig funktionieren bzw. in der Vergangenheit nicht funktioniert haben.
Tatsächlich mache ich das im analogen Leben oft ähnlich wie im digitalen Leben: Wenn ich einkaufen bin, dann gehe ich sehr gezielt auf die Produkte zu, die auf meiner Liste stehen. Ich schaue mich gar nicht so sehr nach rechts und links um, sondern gehe oft bewusst an vielen Regalen vorbei, weil ich mich nicht dazu verleiten lassen will, Dinge zu kaufen, die ich nicht brauche, nur weil die Industrie meint, dass ich diese bräuchte. Ich will selbst Herrin der Lage sein und wenn ich etwas brauche, dann will ich selbst bemerkt haben, dass ich es brauche, und es mir nicht von außen einreden lassen. Ich entscheide immer noch selbst, was ich brauche und was ich will und ich bin mir auch der Werbestrategien (teilweise) bewusst: Die teuren Produkte befinden sich auf Augenhöhe, um zum Gemüse zu gelangen muss man ggf. an den Süßigkeiten vorbei, Sonderangebote werden einem wortwörtlich in den Weg gestellt und vor den Bäckereien befinden sich Lüftungsgebläse, die den (künstlichen) Geruch von Leckereien nach draußen wirbeln, um Kunden anzulocken …. Und an diese Strategien muss ich mich nur eine Sekunde erinnern, um sofort zu denken: „Ihr könnt mich mal! Ich weiß immer noch selbst, wer ich bin, was ich will, was ich brauche und was nicht! Ich brauch das alles nicht. Ich brauche nur schnell ein paar Kleinigkeiten und den Rest könnt ihr an sonst wen verkaufen. Nicht mit mir!“ Das klingt vielleicht unentspannt, aber eigentlich bin ich dabei ziemlich entspannt; es ist vielleicht meine Art, mich von der Reizüberflutung und den Unmengen an Angeboten nicht davonschwemmen zu lassen. Gelegentlich erlaube ich mir, zu stöbern und zu bummeln, also Dinge bewusst genüsslich zu betrachten und mir auch das ein oder andere Unnötige zu gönnen. Aber auch das tue ich dann sehr bewusst und ausgewählt. Ich nehme mir Zeit dafür und beende diese meist auch wieder bewusst. Abgesehen davon will ich nicht behaupten, dass die psychologisch raffinierten Tricks der Verkaufsindustrie an mir nie funktionieren, aber meistens bin ich glaub ganz gut darin, nicht auf sie hereinzufallen …..
Tja, wenn nun aber niemand mehr konsumiert, dann gehen auch viele Arbeitsplätze verloren. Und bezüglich Social Media will ich mich auch fragen, ob es denn nicht wirklich einfach okay ist, Geld zu bekommen für einen Aufwand, den man sich macht. Immerhin gibt es wirklich wunderschöne Produkte und Dienstleistungen, die sich jemand ja ausgedacht haben muss. Da ging sicherlich so viel Zeit und eben auch Geld und noch so viel mehr drauf – ist es dann nicht okay und auch notwendig, diese Dinge zu bezahlen und eben auch die Leute zu bezahlen, die diese schönen Sachen weiterempfehlen?
Hm.
Naja.
Mit meinem DenkMensch-Account frage ich mich schon lange, wie ich mich da positionieren soll. Eigentlich ist DenkMensch zu idealistisch für Social Media (juhuu!), aber ich bin eben doch dort, weil man das halt so macht und weil es ja schon auch ein praktisches Tool ist, über das man schnell viele Leute informieren kann und so … vielleicht verschwindet DenkMensch irgendwann von Instagram, mal sehen, aber vorerst nicht.
Werbung ist für mich insgesamt schwierig geworden. Ich schwanke da immer sehr zwischen: „Wir sollten nicht so viel Werbung machen und anderen irgendwas aufschwätzen, was sie vielleicht gar nicht brauchen“ und „Werbung ist schon okay, es gibt immerhin gigantische Dinge, tolle Entwicklungen, hilfreiche Tools, megaschöne Sachen!!!! Wäre doch schade, das alles für mich zu behalten.“
Auf dem Blog mache ich ja quasi ständig Werbung, oder? Für Meinungen, Ansichten, Perspektiven, Ideen …. Und ich finde das deshalb einerseits auch gut so, weil es auch ein Ausdruck von Liebe sein kann, für Dinge zu werben, die einem wichtig sind. Denn die Liebe kennt keine Gleichgültigkeit, um das mal so kitschig-feierlich zu formulieren ….
Naja, ich hör jetzt auf. Jetzt reicht’s. Ihr habt den Ernst der Lage sicherlich längst verstanden ;-)
Foto: My / Tracy Le Blanc
Hintergrundfoto: Pexels / Kerde Severin