Abschied und Neuanfang
Über Abschiede im Leben und was sie für mich bedeuten
Abschied
In den letzten Jahren habe ich viele Abschiede erlebt, immer wieder, und gerade diesen Sommer haben sie sich in meinem Leben wieder sehr gehäuft:
Da waren offensichtliche Abschiede wie der Abschluss meines Masterstudiums, das damit verbundene Ende meines HiWi-Jobs, sowie das Ende meiner Psychotherapie. Dann gab es aber auch subtilere Abschiede: Ich bin schwanger und bin im Sommer 30 geworden. Das bedeutete also ein Abschied von meinem kinderlosen Dasein, vom „verantwortungslosen“ In-den-Tag-Hineinleben, vom Nur-an-sich-Denken-Können und vom Leben in Zweisamkeit als Paar. Es bedeutetet auch ein Abschied von meinen 20ern und damit irgendwie auch ein endgültiger Abschied von meiner Jugend, zumindest fühlt es sich für mich so an.
Das waren ganz schön viele Abschiede auf einmal …
Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass Abschiednehmen schmerzhaft sein kann und es oft auch ist – sehr sogar. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Abschied normalerweise wirklich Abschied heißt. Oft trösten wir uns zwar, indem wir uns einreden, wir könnten in Kontakt bleiben, uns besuchen und immer wieder zurückkehren, doch meiner Erfahrung nach ist das selten der Fall, und manchmal ist es sogar unmöglich. Meistens bedeutet ein Abschied wirklich, Abschied zu nehmen – ohne die Garantie auf ein Wiedersehen.
Seit ich das akzeptiert habe, geht es mir etwas besser damit. Abschiede dürfen schwer sein und wehtun. Für mich ist es so, als würde die Trauer darüber immer mehr ihre Daseinsberechtigung erlangen. Und wenn sie da sein darf, ist sie auch da. Das tut weh und kann sich fast unerträglich schlimm anfühlen. Doch dann zieht sie sich irgendwann wieder leise zurück, auch wenn sie zwischendurch immer wieder kurz wimmert. Seit ich nicht mehr dagegen ankämpfe, lebt zugegebenermaßen nicht nur der Abschiedsschmerz mehr in mir, sondern auch sowas wie Hoffnung. Und zwar so eine Hoffnung darauf, dass alles einen Wert hat, dass etwas von dem, was da war, bestehen bleibt, wenigstens eine Kleinigkeit, ein Gedanke, eine lustige Erinnerung, ein gemeinsamer Schmerz, ein guter Impuls, eine nette Umarmung. Die Hoffnung darauf, dass vieles davon eines Tages möglicherweise wirklich wiederhergestellt wird. Und nicht zuletzt die Hoffnung darauf, gut mit dem Abschiedsschmerz umgehen zu können und nicht daran festzuklammern.
Neuanfang
Abschiede sind üblicherweise also eher schwer. Doch, was auf einen Abschied folgt, ist in der Regel ein Neuanfang. Neuanfang. Das Wort muss man erst mal sacken lassen. Was bedeutet das und wie geht das? Und will ich das überhaupt? Oft wollen wir ja erst mal am Alten festhalten.
Eigentlich ist jeder Neuanfang verrückt. Denn wir lassen uns auf ihn ein in dem Vertrauen, dass es danach weitergeht, obwohl wir das gar nicht wirklich wissen. Und das Alte ist dann schon losgelassen. Zurück ist also oft keine Option mehr. Und selbst wenn man zurückkäme, dann würde man ein anderes „Altes“ vorfinden. Und die Zwischenzeit zwischen dem Alten und dem Neuen finde ich oft herausfordernd oder zumindest ein wenig unheimlich: Das Alte ist schon weg, doch das Neue ist noch nicht da …
Das Ende ist erst der Anfang
Meine frühere Religionslehrerin sagte einmal etwas dazu, das ich bis heute sehr spannend finde: In der Bibel sei häufig im Zusammenhang mit einem Abschied zuerst vom Ende und dann vom Anfang die Rede. Also genau andersherum, als wie man es kennt: Wir würden chronologisch zuerst vom Beginn einer Sache und dann von ihrem Ende sprechen. Doch die Bibel spricht häufig zuerst vom Ende, dann vom Anfang. Also nicht Anfang und Ende, sondern Ende und Anfang. So steht es zum Beispiel in Psalm 121, 8: „Gott segne deinen Ausgang und Eingang“. Und auch schon im Schöpfungsbericht ganz am Anfang der Bibel werden die einzelnen Tage, die Gott schafft, mit dem Morgen beendet. Da heißt es: „Da ward aus Abend und Morgen der erste/zweite/dritte/… Tag“ (1. Mose 1). Und bis heute funktioniert die jüdische Tageszeitenrechnung nach diesem Prinzip. Der Abend bedeutet hier den Beginn des neuen Tages. Der Tag geht also nicht etwa von Morgen bis Abend, oder von einem Morgen zum nächsten Morgen, sondern von einem Abend zum nächsten Abend. Deshalb feiern die Juden auch den Sabbat entsprechend von Freitagabend bis Samstagabend.
Die Pfarrerin meinte damals, dieses Prinzip deute symbolisch auf eine Art Unendlichkeit hin, die Ewigkeit, nämlich in dem Sinn, dass dort, wo wir ein Ende sehen, es immer noch weitergeht. Ich finde das richtig schön! Denn das bedeutet eben, dass ein Abschied nie das wahre Ende ist und nicht das letzte Wort hat, sondern dass es danach immer einen Neuanfang gibt – einen Eingang nach jedem Ausgang, und einen Morgen nach dem Abend. Apropos Abend: Was kommt denn eigentlich zwischen Abend und Morgen? Richtig, die Nacht! Möglicherweise ist die „Nacht“ also so etwas wie die Übergangsphase, die Zwischenzeit, von der ich eben geschrieben habe, die zwischen dem Alten und dem Neuen steht und uns vorübergehend und mit einem mulmigen Gefühl im Dunkeln stehen lassen kann. Die Hoffnung und Überzeugung ist aber trotzdem, dass nach jeder Nacht mit Sicherheit ein neuer Morgen kommt!
Man könnte diese Symbolik jetzt noch auf viele andere Lebensbereiche ausweiten. Sie könnte auch ein Symbol für neue Chancen sein, die uns gegeben werden, für Versöhnung, Frieden, und einen gnädigen Blick aufs Leben. Es ist eben nichts einfach aus und vorbei, Anfang und Ende – zack, und das war’s dann – sondern danach kommt immer noch etwas. Das Leben schenkt uns immer wieder neue Chancen durch neue Anfänge.
Über den Abschied hinaus blicken
Für dieses Leben gilt wohl:
Abschied heißt Abschied.
Doch in Wahrheit ist das Ende eine Illusion. Ein wirkliches Ende gibt es nicht. Und deshalb fällt uns Abschiednehmen auch so schwer. Weil wir eigentlich wissen, dass es das nicht geben sollte. Weil wir uns danach sehnen, dass alles ewig fortbesteht, und nicht endet. Weil wir spüren, dass wir nicht fürs Zeitliche gemacht sind, sondern fürs Ewige.
Auch wenn es uns unglaublich schwerfallen kann, Abschied nehmen zu müssen: Ich schätze meine Abschiedsschmerzen inzwischen, und ehre sie irgendwie auch, denn sie zeigen mir, was mir viel bedeutet (hat) und was einen besonderen Platz in meinem Herzen hat. Und das ist kostbar.
Auch wenn es sich manchmal so anfühlt: Wir sind immerhin nicht allein mit unseren Abschiedsschmerzen – jeder Mensch kennt sie. Ich wünsche uns, dass wir die Abschiede in unserem Leben „gut“ überstehen, denn leicht sind sie nicht, und dass wir uns dabei von ganz hoffnungs- und verheißungsvollen Gedanken inspirieren lassen!
„Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!“
Psalm 121,8
„Schaut nach vorne, denn ich will etwas Neues tun! Es hat schon begonnen, habt ihr es noch nicht gemerkt? Durch die Wüste will ich eine Straße bauen, Flüsse sollen in der öden Gegend fließen.“
Jesaja 43,19
„Was vergangen ist, ist vergangen. Und du weißt nicht, was dir die Zukunft bringt. Aber das Hier und Jetzt – das gehört dir.“
Antoine de Saint-Exupéry
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