Wer ist hier zuständig?

Annalena
1. November 2024

Wie ich Verantwortlichkeiten in meinem Leben verteile


Diese Woche habe ich den Blogbeitrag von honigdusche gelesen. Sie schreibt darüber, dass Gott ihr vertraut und wie sehr ihr dieser Gedanke und diese Zusage gut getan hat, weil wir das mit dem Gottvertrauen normalerweise immer umgekehrt verstehen: Wir sollen Gott vertrauen. Aber Gott vertraut eben auch uns und traut uns unser Leben zu. Den Gedanke fand ich sehr schön!! Und er hat mich daran erinnert, dass ich mir schon vor einem Jahr einmal überlegt habe, wie Verantwortlichkeit im Leben eigentlich verteilt ist. Damals habe ich irgendwo einen Impuls dazu gehört, dass Verantwortung/Verantwortlichkeit im Leben auch in eine Art Dreiheit aufgeteilt ist - zumindest für Menschen, in deren Weltbild Gott existiert. Da mir dieses Schema seither immer wieder hilft, teile ich das hier mal kurzerhand:
Bei allem, was so im Alltag passiert, kann man sich immer fragen, wer gerade zuständig ist: Ist es Gott, sind es die anderen oder bin ich es?

Jeder trägt seinen Teil. Es gibt den Teil Gottes, den Teil der anderen und meinen Teil.


Und so frage ich mich also immer wieder: Wer ist gerade zuständig? Wer ist hier verantwortlich?

Natürlich grenzen die Teile aneinander und überschneiden sich auch manchmal. Aber trotzdem finde ich die Überlegung hilfreich: Wer ist jetzt zuständig?


Mir hilft das, mich abzugrenzen. Und sich abgrenzen zu können, finde ich so wichtig. Denn tatsächlich sind wir für manche Dinge gar nicht zuständig. Vieles, was an uns herangetragen wird, ist eigentlich nicht unsere Baustelle. Die Leute müssen sich selbst darum kümmern und nicht selten entstehen folgenreiche Ungleichgewichte, wenn wir versuchen, Dinge zu tragen oder zu lösen, die eigentlich nicht unsere sind.


Mir hilft das auch, mich zu entspannen, wo es um Dinge geht, die wirklich Gottes Angelegenheiten sind und die über mein Vermögen weit hinausgehen. Hier kann ich dann einfach sagen: Ich lehne mich zurück, denn Gott kümmert sich darum. Das ist sein Thema, er macht das schon. Und er freut sich bestimmt, wenn ich gewisse Dinge getrost ihm überlasse.


Mir hilft das Ganze aber vor allem, wenn es um die Dinge geht, für die tatsächlich ich selbst zuständig bin - die Dinge und Themen, die in meinen Zuständigkeitsbereich fallen.

Besonders in den letzten Jahren ist dieser Bereich - mein Teil - für mich mehr und mehr in den Fokus gerückt. Zuvor habe ich viel Fokus auf Gott und den anderen gehabt, aber wenig auf mich selbst. Ich habe mir selbst nicht so viel zugetraut wie den anderen beiden Teilen. Das hat sich geändert und macht mich sehr froh. Mithilfe von anderen Menschen, die ich in mein Leben habe sprechen lassen, und meinem eigenen Mut konnte ich neu lernen, viel mehr als je zuvor für mich selbst und meine eigenen Angelegenheiten einzustehen. Mich für mich selbst einzusetzen, so wie wir das oft wunderbar für andere hinkriegen, und mir selbst mehr zu vertrauen und zuzutrauen. Alles, was mit mir selbst zu tun hat, ist in den letzten Monaten und Jahren, die in vielerlei Hinsicht ziemlich schwer für mich waren, für mich wichtiger geworden. Und dabei hat sich auch mein Glaubensleben verändert, genau, wie Sarah (@honigdusche) das auch beschreibt. Es kommt mir so vor, als hätte Gott sich nun in den letzten Monaten mehr zurückgezogen und tatsächlich fühle ich mich seit vielen Monaten irgendwie weiter entfernt von ihm, aber das fühlt sich okay an. Ich habe überlegt, woran das liegen könnte, hatte ich doch in den Jahren davor, auch in der schweren Zeit, noch sehr lange sehr intensiven und ganz nahen Kontakt zu Gott gehabt und viel von ihm gezeigt bekommen. Ich denke, dass Gott sich absichtlich zurückgezogen hat, um mehr Platz zu machen für mich. Das musste wahrscheinlich so sein. Mit Gott und uns Menschen ist es ja immerhin so ähnlich wie mit Eltern und Kindern: Eltern wollen auch, dass ihre Kinder eines Tages selbständig sind und ihr eigenes Leben führen und nicht wegen jeder Mini-Entscheidung noch zu den Eltern rennen. Wie seltsam wäre es, wenn wir als längst Erwachsenen unsere Eltern immer noch bei jeder Kleinigkeit um ihre Meinung fragen würden, etwa: "Meinst du, ich kann heute Abend ins Kino gehen? Wann soll ich morgen aufstehen? Soll ich mir die Hose kaufen oder findest du die zu teuer? Muss ich mir vor dem Mittagessen wirklich die Hände waschen?" Das sind doch alles Fragen, die wir irgendwann ganz selbständig beantworten müssen. Ich denke, Gott geht es sehr ähnlich mit uns. Natürlich können wir uns mit ihm abstimmen bei größeren Themen und er freut sich absolut, wenn wir nach ihm fragen. Aber das bedeutet doch nicht, dass wir selbst zu nichts in der Lage sind. Manche Leute verwechseln das glaube ich und wälzen viel zu viele Verantwortlichkeiten, die eigentlich ihre eigenen wären, auf Gott oder andere Menschen ab, anstatt sich selbst darum zu kümmern. Eigentlich kann man sagen, sie missbrauchen Gott. Denn dafür ist er nicht da. Und dafür sind auch wir selbst als eigene Personen viel zu bedeutsam, klug und begabt. Wir können etwas! Gott hat uns doch nicht als Nichtsnutze geschaffen. Und wir haben auch nicht umsonst einen Verstand und vielfältige Begabungen und Möglichkeiten. Nutzen wir sie und setzen wir sie doch dort ein, wo es uns gefällt und wir es für richtig halten. Gott traut uns das zu! Er wünscht sich für uns, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen und die Konsequenzen daraus mit einer Mischung aus Mut, Hoffnung, Respekt, Demut und Vertrauen in Kauf nehmen! Wir sind doch selbst jemand! Das habe ich in den letzten Jahren gelernt ...


Martin Schleske hat das in seinem  Buch "WerkZeuge: In Resonanz mit Gott" auch so toll formuliert: Gott hat uns als Gegenüber gemacht, nicht als Wesen, über die er sich erheben kann. Er möchte mit uns kooperieren. Kooperieren kann man aber nur mit einer Partei, die sich selbst gegenüber mit einer angemessen Portion Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeitserwartungen eingestellt ist. Wir tun stattdessen manchmal so, als wären wir dreijährige Kindergartenkinder und wundern uns dann darüber, wenn wir auch so behandelt werden. Das muss doch auch für Gott (und für andere Menschen) total ätzend sein. Und noch weiter: Viele Leute ärgern sich dann darüber, dass Gott nicht XY tut und nicht eingreift und ihnen nicht dies und jenes abnimmt, aber Gott wird sich nicht (oder nur begrenzt) über uns hinwegsetzen! Und warum? Weil er uns zutiefst respektiert und duldet, was wir entscheiden. Er liebt uns eben. Und wenn wir uns dazu entscheiden, als Opfer in einer Lebenssituation hocken zu bleiben, dann respektiert er auch das. Er muss es. Er kann uns nicht zwingen. Und er will es auch nicht. Um die Dinge, für die wir also selbst zuständig sind, müssen wir uns auch selbst kümmern. Das müssen wir nicht allein, es gibt meist Hilfsangebote, aber wir müssen es selbst tun. Gott traut uns das zu. Das hat auch mit Würde zu tun. Wir sind würdig, um uns selbst um gewisse Dinge kümmern zu können und zu dürfen, so muss man das auch mal sehen.


Auch vor etwa einem Jahr habe ich erkannt, wie viel (Entscheidungs-)Freiheit mir Gott/das Leben (oder wie auch immer ihr es nennen wollt) tatsächlich lässt. Und dann hatte ich einen schönen Gedanken, der mich ebenfalls seither immer wieder begleitet: Wenn Gott mir so viel Freiheit lässt, vielleicht sollte ich ihm dann auch mehr Freiheit lassen. Vielleicht sollte ich ihm die Freiheit lassen, die ihm zusteht, anstatt ständig zu meinen, besser zu wissen, wie das Leben und die Dinge zu laufen haben. Und genau da stehen Gott und ich seither und wir stehen hier sehr gut: Wir lassen uns Luft zum Atmen. Wir sind nicht getrennt voneinander. Wir sind in Verbindung. Aber wir lassen uns einfach mehr Platz. Ganz ohne Zwang. Ohne Kontrolle. Und das ist schön.


"Wer ist hier zuständig?" ist also eine Frage, die ich mir im Alltag immer wieder stelle und sie bringt so viel Freiheit mit sich. Genau wie Gott traue ich mir zu, diese Frage zu stellen und sie auch zu beantworten.

"Du machst das schon", höre ich ihn sagen ...


Vielleicht kann ja auch für dich diese Frage immer wieder hilfreich sein.



Foto: My / Rodolpho Zanardo



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