Ich fand das so befreiend! Es tat so gut, mit so wenig Gepäck unterwegs zu sein. Normalerweise bin ich ein kontrollliebender Mensch und in den letzten Jahren habe ich mir meine eigene kleine Komfortzone – nein, Luxuszone – eingerichtet, indem ich überall hin immer ganz viele Dinge eingepackt habe. Egal wo ich war, ich hatte immer bestimmte Dinge dabei; und das waren ganz schön viele. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Zum Beispiel nahm ich gefühlt überall mit hin eine Flasche Wasser. Man weiß ja nie, wann man mal ganz dringend einen Schluck zu trinken brauchen würde. So als würde ich verdursten, wenn ich mal zwei Stunden ohne Wasser in der Stadt unterwegs war. Affig. Aber ich fühlte mich besser. Das Problem dabei war nur, dass ich mir dadurch „beigebracht“ habe, diese Dinge zu brauchen, damit es mir gut geht. Irgendwann hab ich das bemerkt und versuche seither bewusst, die Dinge zu reduzieren, die ich mit mir herumschleppe. Hier auf dem Berg war ich plötzlich einer ganz anderen Situation ausgeliefert: Ich konnte nicht alles mitnehmen. Für mich war das so, als würde ich die Kontrolle unten am Berg stehen lassen und ohne sie loslaufen. Und das tat ich. Ich hab dabei nicht nur gemerkt, wie erleichternd das wortwörtlich ist, sondern auch, dass ich diese Dinge gar nicht brauche! Ich kann auch ohne sie sein und es geht mir trotzdem gut. Das Wasser, das ich eingepackt hatte, musste wohl oder übel für den ganzen Tag reichen. Da war keine Möglichkeit, nochmal welches nachzukaufen im Supermarkt nebenan. Ebenso mit dem Proviant. Und wenn alles leer war, bevor ich den Berg wieder hinabgestiegen sein würde? Ja, dann würde das wohl so sein. Und auch das würde ich überleben. Die Wanderung hat mir gezeigt, wie sehr wir uns in unserer technologisierten und von Luxus durchzogenen Welt ein Leben aufbauen, in dem wir ständig alles in schier endlosen Massen zur Verfügung haben. Stichwort Konsum. Was uns fehlt, wird einfach schnell noch gekauft. Hier ging das nicht. Hier ließ ich die Kontrolle unten am Berg stehen.
Im September waren wir für ein paar Tage im Urlaub im Allgäu. Als wir dort unterwegs waren, ist mir aufgefallen, wie gut ich dort abschalten und runterkommen konnte. Hier ein paar Gedanken dazu:
Während wir immer weiter die steilen Pfade hinaufsteigen, wird es mir immer bewusster: Es ist, als würde ich mit jedem Schritt ein Stück mehr zu mir selbst kommen. Hier auf dem Berg hat man einfach nichts um sich herum. Keine Menschen. Keine Autos. Keine Traktoren. Kein Lärm. Nur die Tiere und die Natur. Und man selbst. Stille. Man geht einen Schritt nach dem anderen und konzentriert sich ganz auf den Weg. Es ist anstrengend und man muss darauf achten, wohin man tritt. Da ist keine Ablenkung, aber auch keine Langeweile, sondern Erholung. Außer ein paar Kühen und immer wieder ein paar Wanderern begegnen wir dort niemandem. Man ist auf sich gestellt. Und ganz bei sich. Viel dabei haben wir nicht, denn man muss ja alles tragen. Wasser und ein bisschen Proviant. Einen Pullover und Blasenpflaster. Das war’s. Schlicht und einfach – schön!
Nicht verfügbar
Und noch etwas ließ ich unten stehen: die ständige Verfügbarkeit meiner selbst. Denn in den Bergen hat man keinen Empfang mit dem Handy. Ganz oben dann vielleicht wieder, aber nicht unterwegs. Man ist nicht erreichbar und kann selbst niemanden erreichen. Was für eine Befreiung! Offensichtlich hält mich das Smartphone doch mehr in Schach, als ich gedacht hätte. Das merkte ich jetzt, wo ich es quasi nicht mehr gebrauchen konnte. Im Alltag fühle ich mich oft getrieben: Selbst wenn ich in unserem Wohnort einen Spaziergang mache, schaffe ich es nicht, mich loszureißen von dieser permanenten Verfügbarkeit. Die Spaziergänge sind auch schön, aber ich erlebe nicht so eine Freiheit wie hier, denn bei diesen Spaziergängen habe ich mein Handy immer dabei, es könnte mir ja etwas passieren; und ich sehe auch ab und zu drauf, es könnte ja sein, jemand hätte mich erreichen wollen. Ständig setze ich mich unter Druck, es geht ums Leisten, Machen, Tun, ums Informiertsein und Informieren, ums Verfügbarsein.
Aber nicht hier auf dem Berg! Hier konnte ich einfach nur da sein. Herrlich! Ich meine, selbst wenn uns ernsthaft etwas passiert wäre, hätten wir keine Möglichkeit gehabt, per Telefon Hilfe zu holen. Den Gedanken fand ich heftig. Zu wissen, dass man ja auch nicht so schnell wieder vom Berg unten sein würde, denn selbst wenn man es eilig hätte, dauert der Abstieg eine Weile. Man wäre auch dann auf sich selbst oder auf Hilfe von anderen Menschen angewiesen gewesen. Und ein Krankenwagen kommt dann auch nicht. Eventuell die Bergrettung. Aber so einfach ist das in den Bergen ja alles nicht. Da ist man ziemlich ursprünglich unterwegs. Back to the roots sozusagen. Man steigt auf den Berg hinauf und lässt allen Überfluss unten stehen.
Zunächst hat mich dieser Kontrollverlust verunsichert. Es fiel mir schwer, entspannt ohne Netz, Zivilisation und Technik unterwegs zu sein. Letztendlich hat mich diese Erfahrung aber total bereichert und befreit! Ich will jetzt bewusst öfter Kontrolle abgeben. Denn wenn wir ehrlich sind, haben wir doch sowieso nie wirklich die Kontrolle über unser Leben. Wir können unser Leben planen und gestalten und das ist auch toll. Aber die komplette Kontrolle haben wir nie. Warum also so sehr festhalten an vermeintlichen Sicherheiten, die am Ende des Tages doch keine sind?!
Let's lose control
Wandern in den Bergen bedeutet, Kontrolle abzugeben und Ursprünglichkeit zu leben. Die Berge haben mich daran erinnert, dass wir öfter zurück in diesen ursprünglichen Zustand gehen sollten – nur der Mensch und die Natur.
Kein Lärm.
Keine Technologien.
Keine Verfügbarkeiten.
Und ganz wenig Kontrolle.