Staubiger Boden. Volle Gassen. Kaputte Schuhe und dreckige Fingernägel. Alte Menschen, gezeichnet von schwerer Arbeit und von der Härte des Lebens. Junge Menschen meines Alters mit ausgefallenen oder schwarzen Zähnen und gefälschter „Markenkleidung“, weil das Original zu teuer wäre. Bildung: fehlgeschlagen. Zukunftsperspektiven: nicht besonders prickelnd. Dazu der ohrenbetäubende Lärm von ratternden Motorrollern gemischt mit dem Gestank der dazugehörigen Abgase, die nicht EU-konformen Abgaswerten entsprechen, und einem allgegenwärtigen säuerlichen Geruch der Hinterlassenschaften von Pferden, die 24/7 die Kutschen durch die Stadt ziehen.
Das habe ich so letztes Jahr auf unserer Marokkoreise in Marrakesch erlebt. Einer der ersten Gedanken, die mir dabei durch den Kopf gingen, war: „Meine Güte, wie reich ich doch hier bin! Ich als Europäer mit dem starken Euro in der Tasche kann mir hier nun wirklich alles leisten! Ich bin die Queen!“ Und so wird man von den Menschen dort auch betrachtet. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, als ich begann, mein Leben mit dem Leben der Marokkaner zu vergleichen: Ich bin wohlbehütet aufgewachsen, hatte Zugang zu Bildung, habe einen Job, einen Führerschein und ein eigenes Auto. Ich lebe gemeinsam mit meinem Mann ein angenehmes Leben in einer ziemlich hübschen und modernen Wohnung mit Niedrigenergiehausisolierung, permanent zur Verfügung stehendem sauberem, warmem Wasser, Heizung, zwei Balkonen und zwei Pkw-Stellplätzen in der Garage. Wahnsinn! Ich kam mir superreich vor! Und ich sag’s euch: Das war ich dort auch!!! Mit einem Mal kam ich mir so vor, als könnte ich nicht reicher sein.
Seltsam. Denn zu Hause in Deutschland habe ich immer ein ganz anderes Bild von mir: „Ja, okay, Bildung habe ich, aber das ist ja normal. Und ich habe einen Führerschein und einen Job, aber das gehört ja heutzutage einfach dazu. Und ja, ich habe ein Auto, aber ein altes Auto, das gefühlt mehr in der Werkstatt als in der Garage steht, und über das ich mich so oft aufrege, mit seinen ständigen Mätzchen. Das ist ja nun wirklich nichts Besonderes. Und die Wohnung ist ja auch nur eine Mietwohnung, die gehört uns ja nicht ...“ So ungefähr sehen meine Gedanken dann aus und sie können ewig so weitergehen.
Aber hier in Marokko war plötzlich alles anders. Hier dachte ich mir: Es gibt so viele Menschen, die nicht einmal ordentliche Häuser haben, in denen sie selbst leben können, während wir sogar Häuser für unsere Autos bauen und sie „Garagen“ nennen! Ist das nicht verrückt!?? Plötzlich habe ich gesehen, wie reich ich bin!
„Wenn ich reich wäre, dann würde ich …“
Hast du dich auch schon mal bei diesem Gedanken ertappt? Wir malen uns aus, was wir uns kaufen würden, wenn wir so richtig reich wären, was wir tun würden, was wir nicht mehr tun würden, was wir anders tun würden. Verlockend, dieser Gedanke, nicht? Einmal Millionär zu sein. Geld in Hülle und Fülle zu haben. Große Häuser, tolle Autos und ganz viele hippe Klamotten zu besitzen. Luxus soweit das Auge reicht. Sich alles kaufen zu können, was es in dieser Welt zu kaufen gibt.
Heute möchte ich ein paar Gedanken zum Thema Reichtum loswerden, weil mich das schon seit einer Weile beschäftigt. Wie definiert sich Reichtum? Wo fängt er an und wo hört er auf? Hört er auf? Wie wird man reich? Wird man reich? Oder ist man reich?
Wenn ich an Reichtum denke, denke ich meistens zuerst ans Geld. Geld = Reichtum. So lautet doch die Formel. Das bringt uns oft auch dazu, viel Geld verdienen zu wollen, um dann viel sparen zu können, um dann viel Geld zu besitzen. Besonders hier unter uns Schwaben ganz typisch. Dann höre ich den Idealismus, der mir sagt: "Ach, Geld ist doch eigentlich gar nicht so wichtig. Es kommt nicht auf materiellen Besitz an!" Doch so ganz kann ich da auch nicht mitgehen. Geld ist wichtig, denn es sichert meine Existenz. Aber Geld und Materielles sind bei weitem nicht das Wichtigste, da stimme ich zu! Lange Zeit dachte ich immer, dass man Geld und nicht-materiellen Reichtum (z.B. gute Beziehungen, Frieden, Liebe, Zufriedenheit) voneinander trennen muss. Ich dachte, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Doch ich glaube, das ist ein Irrtum.
Ich glaube, dass Reichtum dort beginnt, wo wir anfangen, ihn zu sehen. Gerade auch finanzieller Reichtum. Und auch hier dachte ich immer, dass das nur ein philosophisches Geschwätz von Menschen sei, die eigentlich auch sehr gerne sehr reich wären und die sich eben einreden müssen, dass materieller Reichtum ja gar nicht das Wichtigste ist, um ihre eigenen finanziellen Defizite zu überdecken. Inzwischen sehe ich das anders. Ich glaube, dass Geld unmittelbar mit nicht-materiellem Reichtum zu tun hat, ja, dass das eine aus dem anderen heraus entstehen kann. Ich glaube nicht, dass man reich wird. Ich glaube, dass man reich ist. Sofern man sich dazu entscheidet, seinen Reichtum zu sehen. Das mag sarkastisch und arrogant denjenigen gegenüber klingen, die am Existenzminimum leben und täglich zu kämpfen haben. So ist das nicht gemeint. Aber nach allem Nachdenken bin ich überzeugt davon, dass Reichtum erst – oder sollte ich sagen schon – dort beginnt, wo wir ihn sehen. Und das ist auch schon die gute Nachricht an der Sache: Ich kann einfach so ein reicher Mensch sein. Indem ich mich dazu entscheide.
Ich glaube, dass hierin wirklich eine tiefe Wahrheit steckt. Es klingt irre und vielleicht wie leere Versprechungen für all diejenigen, die gerne Millionäre wären und es nicht sind. Aber ich glaube: Wir sind immer (nur) so reich, wie wir uns sehen. Was bedeutet also Reichtum? Bedeutet, Millionär zu sein, automatisch reich zu sein? Woran machen wir das fest? An einer Zahl? Und wenn ja, an welcher Zahl konkret? Ich glaube, man kann Millionär oder sogar Multimilliardär sein und trotzdem arm sein. Denn ich glaube, Reichtum hat ganz direkt mit Dankbarkeit zu tun. Nur wenn ich dankbar bin, kann ich reich sein. Oder viel mehr: Indem ich dankbar bin, bin ich reich. Dankbarkeit sorgt dafür, dass mein Blick weggelenkt wird von meinen Defiziten hin zu meinem Reichtum. Selbst wenn ich nur fünf Euro habe, kann ich dankbar dafür sein. Das kann mir keiner nehmen. Diese Wahl habe ich immer. Und diese Haltung entscheidet alles! Das klingt gewagt und sicherlich ist es auch nicht das, was einige von euch hören wollen. Aber ich glaube, dass da so viel Wahres dran ist!
It’s all in our minds
Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass selbst superreiche Menschen (superreich in dem Sinne, wie viele Menschen „superreich“ definieren würden, nämlich alle Millionäre und Multimilliardäre, also „per Zahlen reiche Menschen“), nicht automatisch reich sind oder zumindest nichts von ihrem materiellen Reichtum haben, ihn nicht genießen können, wenn sie nicht dankbar sind für die Millionen, die sie haben, und wenn sie nicht anfangen, ihren Reichtum zu schätzen. Denn auch sie haben immer die Wahl, auf ihre Defizite und Sorgen zu schauen oder dankbar auf ihren Reichtum zu blicken. Okay, man könnte vorwerfen, dass man ab einer bestimmten Gehaltsklasse keine finanziellen Defizite mehr hat und ich denke, da ist was dran. Aber trotzdem haben diese Menschen ja ein normales Leben mit normalen Sorgen, persönlichen Schwächen und in diesem Bereich auch Defizite wie jeder Mensch, und außerdem tragen sie in der Regel viel Verantwortung für all die finanziellen Reichtümer, mit denen es klug umzugehen gilt, das kann sicherlich auch zur Last werden. Die Frage, worauf wir unseren Blick lenken, bleibt also. Die Entscheidung kann auch ihnen keiner abnehmen. Denn eine dankbare Einstellung kommt nicht von allein. Es kommt nicht von selbst, dass man ab einem monatlichen Nettoeinkommen oder einem Vermögen von einem Wert X plötzlich dankbar für alles ist. Ich muss mich dazu entscheiden. Wenn ich mich also als superreicher Mensch zur Dankbarkeit entscheiden muss, dann muss ich es auch oder erst recht als nicht-so-superreicher Mensch. Und wenn ich als superreicher Mensch dankbar sein kann, dann kann ich es auch als nicht-so-superreicher Mensch sein. Denn was uns voneinander unterscheidet, was uns trennt, aber auch, was uns vereint, ist diese Entscheidung in unserem Kopf. In unserem Denken. Denn Reichtum fängt beim Denken an. Man könnte sagen, Reichtum ist eine Frage der Einstellung. Das finde ich heftig! Und befreiend zugleich. Die Verantwortung, wie wir mit dem umgehen, was wir haben - sei es viel oder wenig - liegt bei jedem einzelnen von uns, auch die kann uns keiner abnehmen. Aber die Erkenntnis, dass ich mich zu einem dankbaren, Reichtum sehenden Leben entscheiden kann, birgt unglaublich viele Möglichkeiten.
Ich denke, dass solch eine Dankbarkeits-Einstellung langfristig immer relativen finanziell-materiellen Reichtum nach sich zieht. Weil wir nicht fixiert sind auf unsere Defizite, sondern uns auf das konzentrieren, was wir schon haben. Das hat auch mit einer positiven Einstellung gegenüber Geld zu tun. Die meisten Menschen denken negativ über Geld, zumindest wirkt es so bei dem, was sie darüber sagen. Alle regen sich nur auf über Geld, ständig haben sie zu wenig davon und sowieso ist Geld ja echt etwas ganz Fieses. Ich sehe das nicht so. Geld ist etwas Gutes. Wir müssen aufhören, Geld zu verdammen. Geld gehört uns nicht, auch wenn wir noch so viel sparen. Es ist auf der Durchreise von einem zum anderen und unser Job ist es, sinnvoll mit dem Geld umzugehen, das momentan bei uns „vorbeikommt“, ehe es weiterreist. Ich glaube, solch eine Sicht lockert die Situation und unseren Umgang mit dem Thema Geld und Reichtum enorm. Und ich glaube, dass uns das guttut.
Wir haben die Wahl
Zurück zu meinen Erlebnissen in Marokko. Einige werden vielleicht denken, dass ich einen ganz normalen Kulturschock erlebt habe. Das stimmt. Und trotzdem will ich diesen nicht klein reden, denn er hat mir gewissermaßen die Augen geöffnet. Diese Reise hat mich folgendes gelehrt: Wenn ich in Afrika ein reicher Mensch bin, dann bin ich hier genauso reich. Ich muss es nur sehen. Denn was ich dort hatte, hatte ich ja auch noch, nachdem ich wieder zurück in Deutschland war. Nur die Umstände haben sich geändert. Der Lebensstandard ist ein anderer. Aber da bin ich schon wieder dabei, mich zu vergleichen. Und das ist auch der Grund, warum ich dann nicht mehr sehe, was ich alles habe. Wie reich ich bin.
Bei allem Nachdenken über dieses Thema kam ich zu diesem Schluss:
Wenn ich nicht dankbar bin für das, was ich heute schon habe, dann werde ich nie ein reicher Mensch sein.
Oder anders herum formuliert:
Erst wenn ich dankbar bin für das, was ich HEUTE schon habe, werde ich jemals ein reicher Mensch sein.
Wir haben jeden Tag die Wahl, ob wir unseren Reichtum oder unsere Defizite sehen wollen. Und das entscheidet darüber, ob wir reich sind oder nicht.
Das ist immer wieder aufs Neue herausfordernd, unabhängig von der Menge unseres Besitzes. Insofern lautet meine neue Formel: Dankbarkeit = Reichtum.