Mama

Annalena
18. Dezember 2025

Wie ist es für mich, Mama zu sein?

Mama zu sein ist krass. Es bedeutet, die ganze Welt für einen kleinen Menschen zu sein. Es bedeutet, sein erstes Zuhause, sein sicherer Hafen, sein emotionales Auffangnetz und seine psychosoziale Navigation zu sein. Als Eltern, insbesondere als Mama oder Bezugsperson 1, leihen wir unserem Kind quasi permanent unser reifes Nervensystem für sein noch unausgereiftes, und zwar auch dann, wenn wir uns selbst überfordert fühlen. Als Mama können wir es uns nicht leisten, all dies nicht zu tun und nicht zu sein, weil jemand sich auf uns verlässt. Unser Baby braucht uns. Ständig. Da gibt es keine Pausen. Das bedeutet ständige Verfügbarkeit, ständiger “Bereitschaftsdienst”, auch wenn wir uns nicht danach fühlen oder selbst erschöpft sind. 


Vielleicht ist der Grund dafür, warum Mütter angeblich “alles wissen”, die Tatsache, dass sie alles wissen müssen, und wenn sie es nicht tun, dann müssen sie sich dieses Wissen aneignen. Mütter müssen mit allem klarkommen, deshalb können sie es auch. Mütter müssen stark sein, deshalb sind sie es auch. Sie müssen helfen, sich kümmern, und da sein, deshalb tun sie das. Mütter müssen lieben. Und das tun sie. Es gibt gar kein Entkommen von der Liebe zum eigenen Kind. Nichts ist gewaltiger als die Liebe zum eigenen Kind, und auch wenn das wunderschön ist, steckt da trotzdem das Wort “Gewalt” drin. Es ist nichts, was man sich aussuchen kann. Und dieser Freiheitsentzug, diese große Verantwortung, diese gewaltige Liebe, fühlen sich manchmal auch beengend für mich an. Ich liebe mein Kind und würde es um nichts in der Welt hergeben. Aber die Verantwortung für ihn ist manchmal nicht leicht zu tragen. Denn ich weiß, dass ich als seine Mama letztendlich die erste und letzte Verantwortung für ihn trage, oder zumindest fühlt es sich so an. Ja, natürlich ist mein Mann ja auch noch da und er ist ein sehr engagierter, toller und liebevoller Papa!! Aber er ist nicht seine Mama. Die bin ich. Mein Mann hat immer noch ein Backup, sollte irgendwas mit dem Baby doch nicht klappen, nämlich mich. Doch ich habe kein Backup, ich bin das Backup. 


Wenn unser Sohn gestillt werden will, dann kann das nur ich, und wenn er fremdelt, dann will er nur zu mir, und wenn er sich von niemandem beruhigen lässt, dann immer von mir, und wenn er nachts aufwacht und weint, dann will er nur zu mir. Wenn er abends oder nachts weint (bzw. schreit) und sich auch von Papa nicht beruhigen lässt, dann hört er auf zu brüllen, sobald er nur meine Stimme hört. Wie ausgeschaltet ist er dann plötzlich wieder friedlich. Und wenn ich ihn dann auf den Arm nehme, ist er schlagartig glücklich und schläft innerhalb weniger Sekunden wieder ein. Ich bin seine Mama. 

Und wenn er ins Spiel vertieft ist oder wir bei anderen zu Besuch sind, sein Blick durch den Raum geht und er mich sucht, um zu schauen, ob Mama noch da ist, wird er innerlich sofort ruhig, sobald unsere Blicke sich treffen und ich ihn anlächele. Er lächelt dann meist zurück und entspannt sich wieder. Ich bin seine Mama.

 

Ganz egal, wie sein Leben weiter verläuft, ob er gesund ist oder krank werden wird, werde ich mit ihm fühlen. Wenn er sich freut, werde ich mich umso mehr mit ihm freuen, und wenn er traurig ist, werde ich mit ihm trauern. 

Ich bin seine Mama.

Die Verluste, die er verkraften muss, werden auch mir das Herz brechen. Über seine Errungenschaften werde ich jubeln und seine Erfolge werden mich schier platzen lassen vor Stolz. 

Ich bin seine Mama.

Wenn er in Gefahr ist, werde ich ihn beschützen, und wenn er ungerecht behandelt wird, werde ich ihn verteidigen. Wenn er verletzt wird, werde ich toben. Wenn er Hilfe sucht, werde ich ihn beraten, und wenn er Angst hat, werde ich ihn anfeuern. 

Ich bin seine Mama.

Und das ist wunderschön. Und es ist nicht leicht.


Ich bin nicht mehr für mich allein. Ich bin Mama. Und irgendwie fühlt sich das auch ganz schön unfrei an. Reinhard Mey hat das auch schon so gut formuliert in seinem Lied “Abends an deinem Bett”: 

“Ich gehör mir nicht mehr allein, nein, ganz frei werd ich nie mehr sein, ganz sorglos und ganz unbeschwert. Jede Entscheidung, jeden Schritt, jeden Gedanken lenkst du mit, solange wie ich denken werd.” Oder auch der Song “Das Größte” von Revolverheld beschreibt dieses Gefühl “Du bist in jedem Gedanken, jedes Gefühl bist irgendwie du”. 

Man kann sich nicht vorstellen, wie sich das anfühlt, bis es soweit ist: Nie mehr nur an sich denken zu können, weil unser Herz ja immer mit unserem Kind mitlebt. In Gedanken fiebert man immer mit seinem Kind mit, egal, wie alt es ist, da bin ich mir sicher. Und plötzlich verstehe ich all die Mütter in meinem Leben - meine eigene Mama, meine Oma - und ich kann ihre Aussagen nachfühlen, die ich früher nicht verstanden hab. Ihre ewige Fürsorge und sich Sorgen und die ganzen Ratschläge, die Nachfragen, ob man gut angekommen sei, und die Anrufe …. Das kam mir immer so übertrieben vor. Aber mit meinem eigenen Kind empfinde ich plötzlich genauso. 

Auf Neudeutsch nennt sich das wohl “Mental Load”, aber es ist mehr als eine mentale Last, es ist eine Herzenslast, die wir als Mütter tragen. Der Mental Load beschreibt vielleicht die Care Aufgaben und die vielen kleinen Verantwortlichkeiten im Alltag, nicht aber die Herzenskapazität, die für unser Kind “drauf geht”. 


Mama zu sein bedeutet, sich hinzugeben. Denn weil unsere Kinder unendlich kostbar sind, kosten sie uns etwas: Sie kosten unsere
Hingabe.

Eine Mama hat einmal etwas gesagt, das mich bewegt hat. Sie behauptete: “Was wir für unsere Kinder nicht tun, das tun wir für niemanden.” Und es ist wahr. Für unsere Kinder opfern wir unser letztes Hemd. Für unsere Kinder - und nur für sie - tun wir alles. Wie oft habe ich Menschen schon Sätze sagen gehört wie “Für die Kinder ist XY …”, “Für die Kinder tue ich XY …”, sei es viel Arbeiten und Geldverdienen, Geldansparen, ihre Ausbildung bezahlen, selber zurückstecken. Für ihre Kinder opfern sie sich auf.

Wie schön. 


An Liebe mangelt es mir also nicht :)

Und trotzdem tue ich mich noch schwer damit, mich an mein neues Leben zu gewöhnen. Am Schlimmsten ist der massive Schlafmangel, den wir immer noch haben, weil unser Sohn nachts immer noch oft aufwacht. Er ist nun ein Jahr alt und wenn man nach über einem Jahr immer noch alle anderthalb Stunden geweckt wird und sonst auch oft nachts mit einem schreienden, zahnenden Kind auf ist, dann geht es einem ... sagen wir mal, nicht mehr so prickelnd. Ich bin erstaunt darüber, wie gut mein Mann und ich das bisher weggesteckt haben, aber wir haben schon seeehr gelitten und inzwischen merke ich, wie mir/uns das alles nach so langer Zeit doch sehr an die Substanz geht. Deshalb sind wir momentan dabei, zu schauen, wie wir Unterstützung für uns organisieren können. Ein Familienleben muss schließlich lebbar sein für alle Beteiligten, nicht nur fürs Kind.


Nach diesem erstem Jahr mit Kind kann ich sagen, dass vieles für uns ganz anders kam als gedacht und manches anders ist als erhofft. Zu sehr in die Details möchte ich dabei nicht gehen, weil ich das Bedürfnis hab, die Privatsphäre meiner Familie, vor allem auch die unseres Sohnes, zu schützen. Ich tue mich schwer damit, über ihn und wie er so ist, zu schreiben, weil er das eigentlich selbst erzählen sollte.  Gleichzeitig bin ich als seine Mutter natürlich ein Teil von dem Ganzen und kann und will ja auch berichten, wie es mir mit ihm geht. Da die richtigen Grenzen und das richtige Maß zu finden, finde ich schwierig, deshalb teile ich bisher mal noch nicht so viel darüber.


Es gibt für uns wie für alle Eltern die schönen und die schweren Seiten des Elternseins und vielleicht schreibe ich ein anderes mal mehr darüber, wie es sich anfühlt, ein sehr gefühlsstarkes, temperamentvolles, energisches Kind großzuziehen, während man sich chronisch erschöpft fühlt, und wie es mir damit geht, permanent fremdbestimmt zu sein, quasi keine Selbstwirksamkeit mehr zu erleben und mit der Unfreiheit als Mutter zu kämpfen, die in dieser Lebensphase dazu gehört, über die Sehnsucht nach etwas mehr Eigenständigkeit und die Überlegungen, wie ich mich als Mama ggü. der Berufstätigkeit positionieren will und kann und die Tausend Gedanken über diesen generationellen Konflikt zum Thema Fremdbetreuung, Gleichberechtigung, Arbeit und Care Arbeit und Erwerbsarbeit, Haushalt, eigene Rollenverständnisse und wie sie sich bei mir verändert haben oder nicht haben, und vielleicht schaffe ich es sogar, so darüber zu schreiben, dass all das nicht nach Selbstmitleid und Meckerei klingt, sondern nach schlichter Ehrlichkeit schmeckt. Ich schreibe dann auch über die herzerwärmenden Seiten des Alltags, wenn man das Privileg hat, einen sich prächtig entwickelnden, lustigen, schlauen, knuffigen und absolut liebenswürdigen Schelm in sein Leben zu begleiten - versprochen ;-)

Für heute ist hier allerdings Schluss.

Man muss die Dinge gut sein lassen können ... hab ich gelernt. Gut genug ist gut genug.


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